USA: Das Monument Valley ist ganz großes Kino - WELT (2024)

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Dann sind da endlich die Tafelberge, gewaltig und echt. Der Parkplatz am Eingang der Straße durch das Tal liegt erhöht, der Blick von dort reicht weit in die Ebene. Drei Formationen bestimmen das Bild, West Mitten Butte, East Mitten Butte, Merrick Butte, bei zweien ragen schmale Finger wie mahnend in die Luft. Die Buttes, Spitzkuppen, sind im zweiten Stadium der Erosion, deutlicher von Verfall gekennzeichnet als die großen Tafelberge, Mesas genannt.

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Der rote Stein glüht in der Sonne. Die Autos ziehen Staub und aufgewirbelten Sand hinter sich her. Der Anblick macht erst einmal sprachlos. Auf den runden Felsen sitzen Besucher und schauen ehrfürchtig auf die Berge, die Landschaft. Riesige Monumente der Natur und zugleich ungeheure Projektionen.

Mit ein bisschen Fantasie kommt man sich vor wie bei einer Filmvorstellung in dem größten aller Outdoor-Live-Kinos. So könnte es sein: Die Kamera schwenkt nach links, bis groß das Gesicht eines Indianerhäuptlings zu sehen ist, der Pfeil und Bogen in die Luft reckt und seine Männer antreibt, in die Ebene zu reiten. Weit hinten ziehen unschuldige Siedler mit Pferden und Wagen gen Westen, auf der Suche nach einer neuen Heimat. Und von rechts kommt die US-Kavallerie geritten, eine Patrouille im Feindesgebiet, die in letzter Sekunde das Schlimmste verhindert.

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Und reitet hier irgendwo der große Mann, John Wayne, der Duke? Es muss so sein, dieser Reiter gehört zur Landschaft wie Barbarossa zum Kyffhäuser oder Moses zum Sinai. Ein paar Meter weiter steht ein kleines Schild, hier ist der John-Wayne-Point, angeblich weil der Schauspieler den Blick von hier ins Monument Valley so gerne mochte. Warum auch nicht? Er ist überwältigend.

Im Monument Valley spürt man die Weite der USA

Es sagt sich so leicht, dass Amerika ein weites Land ist. Doch im Monument Valley wird diese Weite mit enormer Wucht spürbar – vielleicht stärker als an jedem anderen Ort der USA. Denn es gibt keine mythischere Landschaft als diese, erschaffen im Kino, überliefert durch tausendfache Wiederholung. Seit Kurzem dürfen europäische Touristen endlich wieder in die USA einreisen, der Park selbst ist bereits seit August wieder zugänglich.

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Monument Valley ist das Arkadien Amerikas, ein Ort, der das ideale Leben ebenso versinnbildlicht wie den harten Kampf ums Überleben. Wie die selbst begründete Nation der Natur abgerungen, die Grenze der Zivilisation auf dem Weg nach Westen verschoben wurde – alle konstitutiven Ideen über die Entstehung der USA finden sich hier zu einem gerüttelt Maß wieder.

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Man muss nicht um die mythische Grenze wissen, die frontier, die für Amerika so wichtig ist, um zu spüren, dass alles hier in diesem Tal mehr ist als bröckelnde Riesenbrocken aus Sandstein. Jeder kennt die Bilder heute. Aber es kommt einem Schock gleich, die wirklichen Tafelberge zu sehen. Sie sind da. Keine Kulisse, keine Fiktion, sondern wahrhaftig.

Etwas abseits die tristen Siedlungen der Navajo

Und zugleich ist Monument Valley Teil der düsteren Geschichte Amerikas, wird hier doch deutlich, dass von der wahren Ursprünglichkeit wenig übrig geblieben ist. Wo sind die indigenen Bewohner? Sie stehen am Rand. Wo sind ihre Häuser, Zelte, Kultplätze? Sie sind verschwunden oder verborgen.

Die allermeisten Besucher setzen Monument Valley gleich mit Cowboys und Soldaten. Die Indigenen sind heute vor allem da, um Traumfänger und billigen Schmuck zu verkaufen. Wer rund um das Monument Valley von den Hauptwegen abbiegt und ein wenig sucht, findet die tristen Siedlungen und armseligen Hütten der Navajo. Die erzählen auch eine Geschichte über die Vergangenheit und die Gegenwart.

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Seit 1958 ist das Tal der Navajo Tribal Park, die Navajo verwalten und betreuen das Gebiet. Monument Valley liegt weit weg von allem an der Grenze zwischen Arizona und Utah, jeweils einige Stunden mit dem Auto von Las Vegas oder Salt Lake City entfernt, nicht leicht zu erreichen. Aber die Mühe lohnt sich unbedingt, ja, die lange Anfahrt verstärkt den Eindruck beim Eintreffen nur noch.

Der Weg durch das Tal ist eine 30 Kilometer lange Schotterstrecke. Die Zeit kann so schnell vergehen wie in einem guten Film, zwei Stunden, zack, durch. Man kann aber leicht einen halben oder ganzen Tag damit verbringen, an den Felsen zu sitzen, zu betrachten, zu wandern. Nichts zu tun und doch alles.

Reisen im Tempo eines Siedlertrecks

Die Tafelberge in ihrer wuchtigen Präsenz laden zur Entschleunigung ein, zur unbedingten Verlangsamung, bis man so mühsam vorankommt wie in einem Siedlertreck im 19. Jahrhundert. Erst so entfaltet sich der ganze Zauber. Die Straße führt vom John-Wayne-Point steil hinab in die Ebene, man ist mit dem Auto bald ganz allein, selbst wenn an den insgesamt elf Stationen geführte Besuchergruppen den Erklärungen der Navajo-Führer folgen.

Im Monument Valley wird die Gegenwart einfach verschluckt, die Szenerie wirkt extrem realistisch und zugleich stark stilisiert. Banner flattern im Wind. Das Geräusch klingt, als sei es immer da, ein natürlicher Sound, der das Land und seine Bedeutung auf den Punkt bringt. Die Natur wird zum Schauspiel.

Die Felsen tragen illustre Namen, nach dem ordentlich dicken Elephant Butte kommen die Three Sisters, drei gewaltige Nadeln, von denen zwei große eine kleinere überragen: zwei Nonnen, die eine Novizin beaufsichtigen. Zehn Minuten weiter und kurz bevor der Weg zur rumpeligen Einbahnstraße wird, ist der John-Ford-Point erreicht, für Western-Fans der Höhe- und Bestimmungspunkt im ganzen Tal.

Die perfekte Kulisse für den Western

Denn das Besondere am Monument Valley ist, dass es eine Erfindung ist, eine recht späte sogar. Anders als das Yosemite-Tal oder der Grand Canyon war Monument Valley ziemlich unbekannt. Einen einzelnen Außenposten gab es, Goulding’s Trading Post, mit einem winzigen Laden, den der Händler Harry Goulding Anfang der 1920er-Jahre gegründet hatte.

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Diese Naturwunder sind besser als der Grand Canyon

Die Legende geht so: 1938 wollte der berühmte Regisseur John Ford in Hollywood nach langen Jahren wieder einen Western drehen. Western waren damals out, die wenigen, die gedreht wurden, waren billig und eher unambitioniert. Sie entstanden oft in den Alabama Hills in Nevada, knapp drei Stunden von Los Angeles entfernt. Ford wollte etwas anderes. Er dachte groß.

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Harry Goulding und seine Frau Leone, genannt Mike, fuhren mit einer Mappe mit Fotos vom Monument Valley nach Hollywood. Sie wollten John Ford die Bilder zeigen. Das Paar wurde abgewiesen, sie sollten nach Hause fahren, hieß es. Nach mehreren Versuchen schaffte Goulding es dennoch, John Ford die Mappe unter die Nase zu halten.

Der Regisseur sah die Fotos und war angetan. Sein Western handelte von einer Reise mehrerer Figuren in einer Postkutsche von Tonto in Arizona nach Lordsburg in New Mexico. Diese bizarren Felsen in der Wüste waren genau das, was er wollte, wenn auch 1000 Kilometer von den echten Schauplätzen entfernt. Aber der Plan ging auf. Und wie.

Der größte Actionfilm aller Zeiten

Der Film, der vor Ort gedreht wurde und Hunderte Navajos als Statisten und Lieferanten in Lohn brachte, heißt auf deutsch „Ringo“ oder „Höllenritt nach Santa Fe“. Als „The Greatest Action Picture of all Time“ wurde „Stagecoach“ angepriesen, begründete den Western neu, machte John Wayne zum Star und verknüpfte diese Gegend für immer mit Reitern, Kutschen und der Kavallerie.

John Ford drehte fortan all seine großen Western im Monument Valley, es sind konservative Utopien über das amerikanische Leben, in dem die Indigenen immerzu die Eindringlinge darstellen und daher bekämpft werden. Wer den idealisierten Westen sehen will, der hat Tafelberge im Kopf.

Am John-Ford-Point drängen sich Besucher. Eine Felsplatte ragt etwas vor. In „The Searchers“ (dt. „Der schwarze Falke“), Fords größtem Western, kauert sich John Wayne hier nachts hin und schaut auf das Indigenen-Lager unter ihm. Die Weißen werden es überfallen, um ein sieben Jahre zuvor geraubtes Mädchen zu befreien und den bösen Indianerhäuptling zu töten.

Diese Geschichte wispert über das Plateau: Da, seht, unsere Vorfahren, John Wayne als grausamer Racheengel mit Vergangenheit. Die Besucher schauen ehrfürchtig in die Richtung, als müsse da gleich etwas passieren. Und es passiert auch. Dann und wann steigt nämlich ein Mann auf sein Pferd, reitet auf die Felsplatte und hält sein Ross an. Der Mann trägt Cowboyhut und Stiefel. Minutenlang bleibt er stehen, schaut nach links, nach rechts, geradeaus. Auch das Pferd dreht brav den Kopf. Ross und Reiter wissen, dass gerade Hunderte von Fotos von ihnen gemacht werden. Ein einsamer Reiter inmitten der Ewigkeit.

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Wer sich selbst als Cowboy sehen und den „John Wayne Spirit“ am eigenen Leib erleben will, kann ebenfalls ein Ross besteigen. Für drei Dollar gibt es einen Foto-Call im Sattel vor der Felsplatte. Für fünf Dollar darf man hoch oben auf dem Felsen auf dem Pferd vor der imposanten Kulisse posieren. John Wayne, fast zwei Meter groß und ziemlich breitschultrig, trug am liebsten ein Gewehr. Das steht hier allerdings nicht zur Verfügung oder müsste bei Bedarf mitgebracht werden.

In fortschrittlichen und akademisch geprägten Kreisen ist John Wayne wegen seiner reaktionären Haltung, vorsichtig formuliert, umstritten. Hier jedoch wird der Filmstar noch kritiklos verehrt. Ein verwittertes Denkmal vergangener Zeiten. Man kann Schnapsgläser, Kaffeetassen und Klopapier mit seinem Abbild kaufen. Es ist nicht ganz klar, ob dem Duke eine derartige Nutzung wirklich gefallen hätte.

Im Kino läuft „Ringo“ von John Ford

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Weiter führt der Weg vorbei an den gewaltigen Tafelbergen namens Rain God Mesa, Thunderbird Mesa, Spearhead Mesa. Ohne diese Formationen wäre das Tal eine Wüste, so ist es ein Wunderland der Imagination. Überall eröffnen sich Blicke und damit Geschichten.

An Goulding’s Trading Post, wo sich heute eine große Lodge befindet, steht ein kleines Museum, vollgestopft mit Erinnerungen an die Filmcrews und den Außenposten, der einst hier war. In den Regalen eines Ladens von vorgestern stehen Dosen mit Bohnen und Mais, Tüten mit Salz und Mehl.

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Jeden Abend läuft im Kino ein Film, gedreht im Monument Valley. Diesmal ist es John Fords „Ringo“ von 1939, die ersten Szenen zeigen einen Reiter der Armee, der durch das Tal prescht. In Schwarz-Weiß sehen die Felsen noch wuchtiger aus. Die Landschaft mit ihrer ewigen Beharrlichkeit lastet auf den Figuren, ihre Freiheit ist immerzu in Gefahr.

Ein Bankier stiehlt Lohngelder und will sich in der Kutsche davonmachen. Ständig schwingt er Reden, schimpft auf den Staat. „Amerika den Amerikanern! Senkt die Steuern! Was dieses Land braucht, ist ein Geschäftsmann als Präsident!“ Das Publikum im Kino lacht. War da nicht ein Mann namens Trump?

Am frühen Morgen geht es im Dunkeln raus zu den Buttes-Formationen. Es ist kalt, die Besucher schweigen wieder in Demut und Erstaunen. Und dann ist neben Merrick Butte die Sonne zu sehen, ein paar Minuten, die langsam wie eine Stunde vergehen. Bis die Strahlen zu stark werden und die Augen schmerzen. Ein kleiner glühender Ball, der steigt und steigt. Die Farben der Felsen wandeln sich: Schwarz, Violett, Rot, Orange, Sepia, Beige, Gelb.

Es ist Western und Science-Fiction, eine fremde Welt, die sich vertraut anfühlt und zugleich ungeheuer weit entfernt, wie ein Ausflug ins Unmögliche. Nichts bewegt sich. Nicht mal Wind ist zu hören. Stumm stehen die Menschen da und sind ergriffen von diesem Schauspiel mit Steinen. Morgen werden wir wieder dort sein.

Tipps und Informationen

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Anreise: Der nächste Flughafen ist in Salt Lake City, den zum Beispiel KLM von Frankfurt und Berlin aus über Amsterdam anfliegt. Alternativ fliegen nach Las Vegas etwa United Airlines von Frankfurt via Denver bzw. Chicago oder American Airlines von Berlin über London an. Die Autofahrt ins Valley dauert um die acht Stunden.

Corona-Regeln: Einreisen in die USA sind wieder für vollständig Geimpfte und Genesene mit zusätzlichem aktuellem PCR- oder Antigentest möglich. Genesene, die innerhalb von drei Monaten vor Abreise mit Covid-19 infiziert waren, müssen zudem ihren positiven Test und eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Mehr Infos unter auswaertiges-amt.de

Unterkunft: „The View Hotel“ im Park selbst , Doppelzimmer ab 120 Euro (monumentvalleyview.com). „Goulding’s Lodge“ in der Nähe, Doppelzimmer ab 125 Euro (gouldings.com).

Valley-Touren: Autofahrten im Privatwagen durch das Tal sind wieder erlaubt; Touren mit Navajos führen zu verschiedenen Tageszeiten durchs Monument Valley (navajonationparks.org). Studiosus bietet 2022 eine 17-tägige Studienreise „USA – Naturparks und Indianerland“ inklusive dem Monument Valley an, ab 5690 Euro im Doppelzimmer mit Flügen (studiosus.com). Eine 21-tägige Rundreise im Miet-SUV durch den Südwesten der USA mit Besuch im Monument Valley gibt es bei USA-Reisen-Experte.de; ab 1980 Euro mit Hotelübernachtungen, ohne Flüge (usa-reisen-experte.de)

Weitere Infos: visitutah.com; visitarizona.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Studiosus Reisen. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.

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